31.03.2023
Die Welt ist voller Krisenherde. Wie können wir diese ausgestalten, ohne zu verzweifeln? Darüber diskutierten Mitarbeitende aus dem Gemeinschaftskrankenhaus sowie rund 100 Zuschauer:innen mit unseren hochkarätigen Gästen Professorin Christiane Woopen und dem Philosophie-Professor Martin Booms.
In einer spannenden
Diskussionsveranstaltung, die das Gemeinschaftskrankenhaus Bonn angesichts der
von Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Klimawandel geprägten Gegenwart sowie der
daraus resultierenden ethischen Herausforderungen für die Gesellschaft und
insbesondere für das Gesundheitswesen im LVR-LandesMuseum veranstaltete,
analysierten Professorin Dr. Christiane Woopen, ehemalige Vorsitzende des
Deutschen Ethikrates und Direktorin des Centers for life ethics an der
Universität Bonn, sowie Prof. Dr. Martin Booms, Professor für Philosophie an
der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft die Situation aus Sicht der
wissenschaftlichen Ethik und suchten gemeinsam mit Vertreter:innen aus der
klinischen Praxis und einem interessierten Publikum nach Lösungsansätzen. Moderiert
wurde der Abend von Dr. Helge Matthiesen, Chefredakteur des General-Anzeiger
Bonn.
Vor rund 100 interessierten Teilnehmer:innen plädierte Gesellschafts- und
Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Martin Booms in seinem Statement dafür, Krisen
nicht nur mit Katastrophen zu assoziieren, sondern darin immer auch die Chance
zu erkennen, „sich neu zu orientieren“. In die richtige Richtung gehe das
Vorhaben von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, „die Ökonomisierung des
Gesundheitswesens ein Stück zurückzunehmen“, denn ein rein formales
Effizienzprinzip könne hier nicht funktionieren: „Patienten sind niemals
Kunden“, führte er aus, sondern Menschen, die Hilfe benötigen. Wer diesen
„unmittelbaren Dienst am Menschen“ tue, müsse auch angemessen bezahlt werden.
Professorin Dr. Christiane Woopen hob als Hauptproblem des
Gesundheitswesens die Überlastung des medizinischen Personals hervor: „Die
Arbeitsbedingungen sind in einer Dauerkrise.“ Oft werde der Druck so
unerträglich, dass Pflegekräfte sich einen anderen Beruf suchten. Das
bestätigte Dr. Frauke Hartung, Oberin der DRK-Schwesternschaft Bonn: „Wir haben
bundesweit in den letzten drei Jahren acht Prozent der Pflegekräfte verloren.“
Das Grundübel erkennt Prof. Woopen im „falschen Blick auf das Problem“,
indem „wirtschaftliche Ziele im Vordergrund stehen und nicht die Patienteninteressen“.
Dabei sei die diskutierte Abschaffung des Fallpauschalensystems nicht die
Lösung, da jedes Vergütungssystem wirtschaftlichen Interessen folge. Dagegen forderte
sie von der Politik mehr Mut und einen „ganzheitlichen Blick im Sinne einer patientenzentrierten
Versorgung“ mit einer guten Vernetzung von ambulanter und stationärer
Behandlung sowie Reha. Dazu sei die „partizipative Sicht nötig“, die
Einbeziehung aller Beteiligten, nicht nur der Interessensvertreter und
Verbände, sondern auch der Pflegenden sowie der Bürgerinnen und Bürger, für die
auch spezielle Patientenvertreter ausgebildet werden könnten: „Viele Reformen
im Gesundheitswesen sind reaktiv wie Pflaster, die man auf eine Wunde klebt.
Wir brauchen eine visionäre Reform und auf dem Weg dahin einen organischen
Prozess.“ Die Digitalisierung, bisher „eine Schnarchveranstaltung“, könne hier
als paradigmatisches Beispiel dienen.
Wie ein Krankenhaus trotz ökonomisch enger Rahmenbedingungen und immer
weiter gestiegener Leistungsmenge das Wohl des Menschen als Patient:in oder
Mitarbeiter:in im Auge behält, machten die Vertreter:innen des
Gemeinschaftskrankenhauses auf dem Podium deutlich: Der Krankenhausobere
Christoph Bremekamp betonte, dass nicht der Profit, sondern „die Sorge,
Fürsorge, das Patientenwohl“ im Mittelpunkt stehe und dieses Bestreben
angesichts des Wettbewerbs, in dem Krankenhäuser stehen, „jeden Tag
ausbalanciert werden muss“. Er forderte dazu auch eine Neujustierung der
Vorhaltefinanzierung, damit z.B. in der Geburtshilfe die bedarfsgerechten
Mittel zur Verfügung stehen. Sehr wichtig sei die Arbeitsatmosphäre im Haus.
Das bestätigte eindrucksvoll Soraya Conradus, Pflegeschülerin im Abschlussjahr:
„Ich mache den Job gerne, denn wir haben eine gute Zusammenarbeit mit dem
ganzen Team und mit den Patienten, die uns ihr Vertrauen zeigen.“ Der Ärztliche
Direktor, Privatdozent Dr. Jochen Textor, bekräftigte, dass die in der eigenen
Pflegeschule ausgebildeten Krankenpfleger:innen, die von der Corona-Krise und
der Flutkatastrophe an der Ahr stark betroffen waren und diese Probleme
meisterten, dem Krankenhaus „einen großen Schub“ gegeben haben. Die weitaus
meisten bleiben nach ihrem Examen am Gemeinschaftskrankenhaus. Hinzu kommen
Pflegekräfte aus dem Ausland, etwa Tunesien, die gut integriert worden seien.
Prof. Booms unterstützte aus gesellschaftsethischer Sicht, dass
Gesundheitspersonal den inneren Antrieb habe, „Dienst am Menschen zu leisten“
und man die Rahmenbedingungen schaffen müsse, damit dieser Idealismus auch
gelebt werden könne. Einen konkreten Wunsch äußerten Dr. Textor und Dr. Sophie
Krieger, Assistenzärztin in der Inneren Medizin: dass weniger Zeit für das
Dokumentieren nötig wäre. Dr. Krieger: „Ich verbringe 80 Prozent meiner Zeit am
PC.“