Im Zentrum für hämatologische Neoplasien am
Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn kümmern sich erfahrene Ärztinnen
und Ärzte um Menschen, die an einer bösartigen Erkrankung des Blut- und
Lymphsystems leiden.
Das macht auch der Name des Zentrums deutlich. Er bedeutet, dass eine Neubildung von Körpergewebe (Neoplasie) vorliegt, die das Blut betreffen (hämatologisch). Oder einfach ausgedrückt: Wenn sich beispielsweise bestimmte Blutzellen unkontrolliert vermehren und so die Zusammensetzung des Blutes verändern, ist die große Expertise der Ärztinnen und Ärzte hier im Zentrum am Brüderkrankenhaus gefragt.
Da es sich
dabei oft um seltene und komplexe Erkrankungen handelt, die vielen Menschen
nicht bekannt sein dürften, erfahren Sie hier Wissenswertes zu Krankheitsbildern, Diagnose und Therapiemöglichkeiten.
Zentrumsleiter
Dr. med. Tobias Gaska, Chefarzt der Klinik für Hämatologie und Onkologie am
Brüderkrankenhaus, Dr. med. Fonyuy Nyuyki, Leiter der Nuklearmedizin, MUDr.
Attila Salay, Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie, Study Nurse Michael
Gauding und die psychologische Psychotherapeutin Sandra Schnülle berichten von
ihrer Arbeit.
Daneben
existieren noch weitere seltene bösartige Erkrankungen, die zum Beispiel das
Knochenmark betreffen. Blutkrebs und Lymphknotenkrebs sind zudem Sammelbegriffe
für ganz unterschiedliche Erkrankungen. „Wir wissen von rund 50 verschiedenen bösartigen
Erkrankungen der Blutzellen und des Lymphsystems. Wir haben es also mit einer
großen Bandbreite zu tun, und die Erkrankungen verlangen sehr unterschiedliche
Diagnoseverfahren und Therapieansätze“, erklärt Dr. Gaska. Doch sie haben in
der Regel eine Gemeinsamkeit, erläutert der Chefarzt weiter. „Das Besondere an
den hämatologischen Erkrankungen ist, dass sie in aller Regel den gesamten
Organismus betreffen und nicht nur ein Organ, wie man das bei den anderen
Krebsformen kennt.“
Und der Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie ergänzt:
„Die Behandlung der hämatoonkologischen Neoplasien ist sehr komplex, vor allem weil
sie öfter einen chronischen Verlauf haben und die Erkrankung meistens den
ganzen Körper betrifft.“ Angesichts der vielfältigen und komplexen Krankheitsbilder
sind eine umfangreiche Diagnostik und eine individuell angepasste Therapie
daher so wichtig.
Akute Leukämie ist die Art des Blutkrebses, die den meisten Menschen ein Begriff sein dürfte. Im Grunde passiert folgendes: Im Knochenmark bilden sich unreife Krebszellen, die sich unkontrolliert teilen. Diese stören die Produktion normaler Blutzellen und verdrängen sie sukzessive. Es kommt dann zu einem Mangel an roten und funktionsfähigen weißen Blutkörperchen aber auch von Blutplättchen, das Blut kann seine Aufgabe nur noch eingeschränkt erfüllen. „Das führt sehr schnell zu einer lebensbedrohlichen Situation für den Patienten. In solch einem Fall müssen wir notfallmäßig agieren“, erklärt der Chefarzt. Innerhalb kürzester Zeit beginnt die Therapie, die in der Regel stationär erfolgt.
Anders als die akute Variante verläuft die chronische Leukämie in der Regel sehr langsam und schleichend, Patienten verspüren oft lange keine Symptome. Chronische Krebserkrankungen können teilweise sogar über Jahrzehnte ohne Beschwerden stabil verlaufen. „Allerdings können sie sich jederzeit verändern und behandlungsbedürftig werden. Und deswegen bedürfen auch die chronischen Erkrankungen einer genauen Diagnose und anschließend einer sorgfältigen Verlaufskontrolle“, so Dr. Gaska.
Unter dem Begriff maligne Lymphome werden verschiedene Krebserkrankungen des Lymphsystems zusammengefasst. Die Aufgabe des Lymphsystems besteht darin, Stoffwechselabbauprodukte und Krankheitserreger aus dem Körper zu filtern und abzutransportieren. Die Lymphknoten fungieren dabei wie Filterstationen, durch die Lymphflüssigkeit fließt. Zentraler Bestandteil dieser Flüssigkeit sind weiße Blutkörperchen, die Lymphozyten, die Antikörper gegen Krankheitserreger bilden. Diese so wichtigen Helfer können entarten und zu Krebszellen werden. Die bösartig veränderten Lymphzellen vermehren sich dann unkontrolliert und verdrängen die gesunden Zellen. Lymphknotenkrebs (er wird so genannt, weil er sich besonders an den Lymphknoten bemerkbar macht) ist eine gefährliche Erkrankung.
Der große Vorteil des zertifizierten Zentrums für hämatologische Neoplasien am Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn: Hier gibt es nicht nur einen Spezialisten, sondern die Expertinnen und Experten der verschiedenen Fachrichtungen arbeiten nach festgelegten Abläufen eng zusammen.
Ärztinnen
und Ärzte der verschiedenen Fachabteilungen bringen dabei ihre Expertise mit
ein. Die Rollenverteilung sieht – vereinfacht gesagt – so aus: Bei den Onkologen
und Hämatologen laufen die Fäden zusammen, sie kümmern sich federführend um die
Diagnostik und Behandlung der Patienten. In ihren Bereich fallen zum Beispiel
Blutuntersuchungen oder die Systemtherapie, also die Behandlung mit
Medikamenten.
Bei der Diagnosestellung sind zudem Pathologen, Nuklearmediziner und Radiologen von entscheidender Bedeutung. So untersuchen Pathologen beispielsweise Gewebeproben, Radiologen und Nuklearmediziner können mithilfe unterschiedlicher bildgebender Verfahren zum Beispiel Krebserkrankung lokalisieren und deren Ausbreitung ermitteln. Und die Strahlenmediziner kümmern sich um eine Form der Therapie, die Strahlentherapie.
Das Zentrum
für Hämatologische Neoplasien wurde durch die Deutsche Krebsgesellschaft im
Jahr 2020 zum ersten Mal zertifiziert. „Wir waren eines der ersten Zentren, die
das Zertifikat in Deutschland erhalten haben“, erinnert sich Chefarzt Dr.
Gaska. Das Zentrum muss jährlich nachweisen, dass es die fachlichen
Anforderungen für die Behandlung von Tumorerkrankung erfüllt und zudem über ein
etabliertes Qualitätsmanagementsystem verfügt. Zudem müssen sie eine
Mindestanzahl an Patienten sowie Therapien nachweisen. Diese Anforderungen
werden von unabhängigen Prüfern kontrolliert.
Der Grundgedanke hinter dem
Zentrum: Durch festgelegte Abläufe, klare Verantwortlichkeiten und die die enge
Zusammenarbeit aller beteiligten Fachrichtungen sollen die Krebspatienten
bestmöglich behandelt werden. Neben den genannten medizinischen Abteilungen gehören
dazu unter anderem auch onkologische Pflegekräfte, Psychoonkologen und
Sozialarbeiter.
Da die
möglichen Erkrankungen so unterschiedlich sein können und sehr komplex sind,
ist die Therapie erst nach einer sorgfältigen Diagnose möglich. Und noch ein
anderer Aspekt kommt hinzu, erläutert der Chefarzt Dr. Gaska. „Die
Krebstherapie wird immer individueller und passgenauer. Deshalb müssen wir die
Erkrankung möglichst genau kennen.“
Die
wichtigsten Diagnoseverfahren stellen Dr. Tobias Gaska und Dr. Fonyuy Nyuyki im
Video vor.
„Die Diagnose Krebs bedeutet häufig eine seelische
Erschütterung. Es gibt Menschen, die in Tränen ausbrechen, verzweifelt sind und
nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen“, erklärt die psychologische Psychotherapeutin Sandra
Schnülle, die die klinische Psychologie und Psychotherapie im Brüderkrankenhaus
St. Josef in Paderborn leitet. Andere dagegen würden sehr ruhig reagieren.
Unabhängig von der Reaktion bieten Sandra Schnülle und ihr Team eine psychoonkologische Unterstützung für alle Krebskranken und ihre Angehörigen an. Das bedeutet, dass sich die Therapeuten und Psychologen um die psychischen und sozialen Bedürfnisse und Belange von Betroffenen und ihren Angehörigen kümmern.
„Wenn
eine Krebserkrankung diagnostiziert wird, werden wir, wenn es gut läuft, direkt
einbezogen“, erklärt die leitende Psychotherapeutin. „Wir begleiten die
Patienten dann durch die gesamte Behandlungszeit. Das kann manchmal Jahre
dauern. Mit der Zeit lernen wir die Umgebung des Patienten kennen.“
Dabei gehe es vor allem darum, zuzuhören, auf die Menschen einzugehen, für sie da zu sein und Fragen zu beantworten. Dieses Angebot ist fester Bestandteil des Zentrums, die Patienten sollen so umfassend versorgt werden – auch hinsichtlich ihrer psychischen und seelischen Bedürfnisse.
In der wöchentlich stattfindenden Tumorkonferenz kommen Ärztinnen und Ärzte alle relevanten Fachgruppen zusammen. Dabei gibt es klare Kriterien, welche Patienten besprochen werden. Das sind zum Beispiel alle Patienten, bei denen eine Neuerkrankung einer hämatologischen Neoplasie oder ein neuer Diagnosebefund vorliegt.
Angesichts
der Vielzahl an Erkrankungen und der individuellen Ausprägung kommen sehr
unterschiedliche Therapieansätze in Betracht. Sie lassen sich, grob gesagt, in
zwei Gruppen unterteilen: In Medikamententherapien und in die Strahlentherapie.
Behandlungen, in denen Medikamente das Wachstum der Krebszellen stoppen sollen,
kennt man landläufig unter dem Begriff Chemotherapie.
„Wir sagen aber bewusst
nicht mehr Chemotherapie, sondern Systemtherapie. Systemtherapie bedeutet, sie
wirkt im ganzen Organismus“, erklärt Dr. Gaska. Denn Arzneimittel, die aus
mehreren Wirkstoffen bestehen und für den jeweiligen Einsatz kombiniert und
dosiert werden, gelangen über das Blut an jede Stelle des Körpers und können dort
die erkrankten Zellen ausschalten.
Die Strahlentherapie
kommt bei der Behandlung von bestimmten bösartigen Erkrankungen des
lymphatischen Systems zum Einsatz. Zum Beispiel beim sogenannten multiplen
Myelon, bei dem eine bösartige Veränderung der Plasmazellen im Knochenmark
vorliegt. Oft werden auch bei unterschiedlichen Formen des Lymphknotenkrebs befallene
Lymphknotenstationen bestrahlt.
Die Strahlentherapie
funktioniert nach einem sehr einfachen Prinzip, erläutert der MUDr. Attila
Salay, Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie: „Die Tumorzellen sind bereits
beschädigt und teilen sich sehr schnell. Damit sind sie hinsichtlich der
Strahlentherapie sehr empfindlich und können leicht zerstört werden.
Demgegenüber können sich die gesunden Zellen leichter von Strahlenschäden
erholen. Diesen Empfindlichkeitsunterschied nutzen wir bei der Strahlentherapie
aus.“
Fester Bestandteil des Zentrums für hämatologische Neoplasien ist das Studienzentrum des Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn. Es kümmert sich um qualitätsgesicherte Durchführung klinischer Studien zu Therapien bei Krebserkrankungen nach festgelegten Kriterien. Dort ist Michael Gauding als sogenannte Study Nurse unter anderem für die umfangreiche Dokumentation verantwortlich.
„Wir beteiligen uns an
verschiedenen klinischen Studien. Das können sowohl Zulassungsstudien für neue
Medikamente als auch Therapie-Optimierungsstudien sein, bei denen neue Ansätze
in der Behandlung untersucht werden“, so Michael Gauding.
Diese Studien würden in der Regel gemeinsam mit den wichtigsten Studiengruppen in Deutschland durchgeführt, und auch an globalen Studienvorhaben beteiligen sich die onkologischen Kliniken am Brüderkrankenhaus. Chefarzt Dr. Gaska ergänzt: „Wir sind sehr interessiert an der klinischen Forschung. Denn Fortschritte in der Behandlung von Blutkrebserkrankungen haben wir in erster Linie klinischen Studien zu verdanken.“
Die
Patienten profitieren auf zweierlei Weise von dem Studienzentrum bzw. von den regen
Aktivitäten in der klinischen Forschung in Paderborn, erklärt Study Nurse
Gauding. „Durch die Teilnahme an einer klinischen Studie erhalten Patienten
Zugang zu einem neuen Medikament, das noch nicht auf dem Markt ist und sich
gerade im Zulassungsprozess befindet. Und unseren Ärztinnen und Ärzte haben
innerhalb der Studiengruppe Kontakt zu den Medizinern, die in Deutschland führend
bei der Therapie von den unterschiedlichsten Krebserkrankungen sind, und können
von deren Wissen profitieren.“ Die große Expertise in den Studiengruppen fließt
so auch in die Behandlung von Patienten in Paderborn.
Das
Verfahren läuft dabei so ab: Speziell geschulte Ärztinnen und Ärzte, sogenannte
Prüfärzte, schauen, ob eine klinische Studie für einen Patienten in Frage
kommt. Wenn ja, wird der Patient umfangreich aufgeklärt, eine Teilnahme ist
immer freiwillig. Auch im Verlauf der Behandlung können Patienten ihre
Teilnahme jederzeit abbrechen, sie erhalten dann die Standardtherapie.
TEXT: JORIS HIELSCHER | FOTOS/VIDEOS: ANDRÉ LOESSEL