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18.03.2019 / aktualisiert 17.12.2020

Wieder in Bewegung

Ein Missgeschick an einem verschneiten Winterabend hat Winfried Gietzen das Genick gebrochen. Er hätte dabei sein Leben oder zumindest viel Lebensqualität verlieren können - es bestand das Risiko einer Querschnittlähmung. Die Spezialisten im Wirbelsäulenzentrum Trier setzten alles auf eine Karte und wählten eine von ihnen weiterentwickelte funktionserhaltende Behandlungsmethode.

Bernkastel, Ürzig, Traben-Trarbach - auf diesen 25 Kilometern liegen einige der besten Rieslinglagen der Mosel. Als "Lieblingsstrecke" bezeichnet Winfried Gietzen diesen Abschnitt aber aus einem anderen Grund: "Zum Fahrradfahren ist die Mosel dort einfach am schönsten", sagt der pensionierte Schlosser. Wann immer sich die Gelegenheit ergibt, erzählt er, macht er sich auf, die einzigartige Kulturlandschaft zwischen Eifel und Hunsrück mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu erkunden - mit seiner Frau Brigitta oder mit Freunden. Dass er das überhaupt noch kann, grenzt an ein kleines Wunder.

Kleiner Unfall, große Folgen

Drei Jahre ist es her, da kamen Winfried und Brigitta Gietzen von einer ihrer Wanderungen zurück ins heimische Zell an der Mosel, als es zu schneien begann. Um dem Briefträger eine Rutschpartie früh am nächsten Morgen zu ersparen, streute der Hausherr noch am Abend die Einfahrt. Doch dann war er es, der auf dem Weg zur Garage auf einer Eisplatte ausrutschte und mit der Stirn gegen die Garagenwand prallte.

"Das tat natürlich weh, aber viel gedacht habe ich mir dabei nicht", erinnert sich der heute 73-Jährige. Pflichtbewusst brachte er das Streugut aus und legte sich wenig später mit leichtem Brummschädel ins Bett. "Da erst habe ich bemerkt, dass mit meinem Nacken etwas nicht stimmte." 

Brigitta Gietzen alarmierte eher aus Vorsicht den Notdienst. Und das war gut so. Geistesgegenwärtig fixierten die Rettungssanitäter Gietzens Wirbelsäule, bevor sie ihn ins örtliche Krankenhaus brachten. Eine Röntgenaufnahme bestätigte ihren Verdacht: Gietzen hatte sich das Genick gebrochen.

Mit dem Ergebnis der Operation sind Winfried Gietzen und Dr. Andy Ottenbacher mehr als zufrieden.

Die erste Adresse für Wirbelsäulenschäden

Ein gebrochenes Genick, das ist nicht nur im Moseltal ein Fall für das Wirbelsäulenzentrum (WSZ) Trier. Die interdisziplinäre Einheit im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier ist die einzige in Rheinland-Pfalz und dem Saarland, die die Deutsche Wirbelsäulengesellschaft (DWG) als Wirbelsäulenzentrum der Maximalversorgung der DWG® zertifiziert hat.

"Die Zertifizierung ist eine tolle Auszeichnung für unsere Arbeit", sagt Professor Dr. Martin Bettag, Chefarzt der Neurochirurgie. "Aber sie ist auch eine Selbstverpflichtung zu höchster Transparenz: Sämtliche Behandlungen werden minutiös und kompromisslos aufgezeichnet, um Erfolge wie Komplikationen genau auswerten zu können."

Für eine bessere Versorgung: Neurochirurg Prof. Dr. Martin Bettag gründete daher mit seinen Kollegen das Wirbelsäulenzentrum.

Drei Fachbereiche, ein Ziel

Gegründet hatte der Neurochirurg das WSZ 2012 mit seinen Kollegen von Orthopädie und Unfallchirurgie, um die Zusammenarbeit der drei Fachbereiche mit externen Kooperationspartnern zu koordinieren und zu optimieren. Das Ziel: die Versorgung von Wirbelsäulenpatienten weiter zu verbessern.

Denn am WSZ Trier wird im Prinzip das gesamte Spektrum an Erkrankungen und Verletzungen der Wirbelsäule behandelt: Am häufigsten sind degenerative Volkskrankheiten wie Wirbelgleiten oder Bandscheibenvorfälle.

"In vielen Fällen ist eine konservative Therapie einer Operation vorzuziehen", erklärt Privatdozent Dr. Ralf Dieckmann, Chefarzt der Orthopädie. Dann werden Patienten vom Brüderkrankenhaus Trier an Partnerkliniken überwiesen, die wie etwa das DRK Elisabeth-Krankenhaus in Birkenfeld eine entsprechende Expertise haben. "Entscheidet sich ein Patient aber für eine Operation im Wirbelsäulenzentrum Trier, kann er sicher sein, dass er auf direktem Wege dort landet, wo ihm optimal geholfen wird." Zur optimalen Behandlung der Patienten leistet auch die Physiotherapie einen wichtigen Beitrag, insbesondere für die Genesung und Mobilisierung der Patienten nach der OP.

Interdisziplinäre Expertise

Die Zuständigkeiten im WSZ sind klar geregelt: Als Teil des Stütz- und Bewegungsapparates des Körpers ist die Wirbelsäule zunächst ein Fall für den Orthopäden. Entzündungen und Tumoren an Brust- und Lendenwirbelsäule werden von ihm behandelt. Verletzungen in diesem Bereich fallen in den Aufgabenbereich der Unfallchirurgen. Ist hingegen das Rückenmark bedroht oder bereits betroffen, übernehmen die Neurochirurgen. Dies ist insbesondere bei degenerativen Erkrankungen der Fall oder wenn Halswirbel betroffen sind.

Dass eine bestimmte Fachabteilung zuständig ist, stellt Dr. Andreas Junge, Chefarzt der Unfallchirurgie, klar, heißt im WSZ Trier aber nicht, dass die anderen damit nichts mehr zu tun haben: "Tritt etwa eine Verletzung der Lendenwirbelsäule als Folge einer degenerativen Erkrankung auf, beraten wir uns mit den Kollegen der Neurochirurgie. Und wenn es erforderlich ist, operieren wir auch gemeinsam."

"Wenn man sich überlegt, wie das hätte ausgehen können, bin ich wirklich nur dankbar für das, was die Ärzte erreicht haben", sagt Winfried Gietzen.

Genickbruch ohne Lähmung

Bei Gietzen lag zwar eine Unfallverletzung vor. Da von einer lädierten Halswirbelsäule aber immer eine Gefahr für das Rückenmark ausgeht, waren die Neurochirurgen zuständig. Als er am Tag nach dem Unfall ins WSZ Trier überwiesen wurde, kam er deshalb direkt in die Neurochirurgie zu Oberarzt Dr. Andy Ottenbacher. Der ist Ärztlicher Koordinator des Zentrums und spezialisiert auf Verletzungen der Halswirbelsäule: "Auf den Röntgen- und MRT-Bildern war klar zu sehen, dass Herr Gietzen sich eine Jefferson-Fraktur zugezogen hatte, einen eher seltenen Vierfachbruch des ersten Halswirbels. In seinem Fall hatte die Atlasberstung auch zur Unterbrechung einer der beiden gehirnversorgenden Arterien, die durch den Atlas ziehen, geführt."

Eine direkte Schädigung des Rückenmarks in dieser Höhe hätte eine Querschnittlähmung vom Hals an zur Folge. Allerdings tritt sie bei der Jefferson-Fraktur selten auf, weil der Schädel dabei von oben auf den ersten Halswirbel (Atlas) drückt und ihn zum Bersten bringt. Dabei schieben sich die Bruchstücke nach außen, also weg vom Rückenmark. Dennoch muss der Bruch umgehend stabilisiert werden, um weitere Schäden zu vermeiden.

Bewegung eingeschränkt

"Klassischerweise gibt es für eine Jefferson-Fraktur zwei Behandlungsmethoden", erklärt Dr. Ottenbacher, "aber beide bedeuten einen großen Verlust an Lebensqualität." Die erste Methode besteht darin, den gebrochenen Wirbel zu versteifen, indem man ihn mit dem zweiten Halswirbel verschraubt. Allerdings findet die Kopfrotation zu über 50 Prozent zwischen diesen beiden Wirbeln statt. Eine Verschraubung bedeutet somit, dass der Patient seinen Kopf kaum noch drehen kann - und zwar dauerhaft.

Will man die Beweglichkeit langfristig erhalten, muss der Atlas unabhängig vom zweiten Halswirbel zusammenwachsen. Dafür wird bei der zweiten Methode der Schädel mit einem Halo-Gestell verschraubt, das auf den Schultern aufliegt. Doch das bedeutet, dass der Kopf über mehrere Monate vollkommen fixiert ist. Hinzu kommt: Häufig heilt der Bruch bei dieser Methode nicht und der Atlas muss doch noch versteift werden.

Technik minimiert Risiken

Um dies den Patienten nach Möglichkeit zu ersparen, wendet Dr. Ottenbacher ein seltenes Verfahren an, bei der die operative Beweglichkeit erhalten bleibt. Dafür verschraubt er die beiden seitlichen Bruchstücke des Atlas mit einem Querträger, der die Fragmente zusammenschiebt. Mindestens zwei der vier Bruchstellen sollen so zusammenwachsen, um den Wirbel zu stabilisieren.

Grundsätzlich bestehen allerdings Zweifel, ob bei dieser funktionserhaltenden Methode die Stabilität zwischen dem ersten und zweiten Halswirbel erhalten bleibt. Genau für diese Frage hat Dr. Ottenbacher eine intraoperative Stabilitätsprüfung entwickelt, die bei Gietzen positiv ausfiel.

Mit entscheidend für den Erfolg, sagt der Neurochirurg, seien die dreidimensionalen Röntgenaufnahmen gewesen, die im WSZ Trier während der Operation angefertigt werden können (siehe Seite 11). Mittels Infrarottechnik können die Operateure auf mehreren Bildschirmen genau sehen, wo und in welchem Winkel sie ihre Instrumente ansetzen. Auf diese Weise konnte Ottenbacher die immerhin 3,5 Millimeter dicken Schrauben im Atlas von Gietzen platzieren - unter Schonung des Rückenmarks einerseits und der Vertebralarterie andererseits.

Keine Kompromisse bei der Lebensqualität

"Professor Bettag und Dr. Ottenbacher haben mir genau erklärt, was sie vorhatten", erzählt Gietzen. "Und sie haben mir auch nicht vorenthalten, dass der Erfolg der funktionserhaltenden Methode nicht sicher vorhergesagt werden könne."

Dennoch sei ihm sofort klar gewesen, dass er dieses Verfahren wollte. Seine Entschlossenheit hat sich ausgezahlt: Mittlerweile sind alle vier Brüche wieder geschlossen: "Das Ergebnis ist tatsächlich besser als wir zu hoffen gewagt hatten", sagt der Arzt. Neben der Herstellung der Funktion des Atlas konnte auch die Durchblutung der Vertebralarterie, die durch den Bruch unterbrochen war, wiederhergestellt werden. Somit kann Gietzen auf die Einnahme blutverdünnender Medikamente verzichten.

"Theoretisch könnten wir die Schrauben wieder herausnehmen." Notwendig sei dies angesichts der allgemeinen Risiken einer Operation aber nur im Falle von Schmerzen oder einer Entzündung, schränkt Dr. Ottenbacher ein. Die hat Gietzen aber nicht: "Ich kann wirklich beinahe wieder alles machen. Und wenn man sich überlegt, wie das hätte ausgehen können, bin ich wirklich nur dankbar für das, was die Ärzte erreicht haben."

Neurochirurg Dr. Andy Ottenbacher (li.) hat eine Methode entwickelt, wie bei der operativen Behandlung einer Atlasberstung überprüft werden kann, ob die Beweglichkeit mit ausreichender Stabilität sich wiederherstellen lässt.

Text: Jan D. Walter | Fotos: André Loessel

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