Bei Erkrankungen des Magens, Darms oder anderer innerer Organe werden Patienten im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn von Medizinern unterschiedlicher Fachrichtungen untersucht. Im Viszeralmedizinischen Zentrum arbeiten Internisten und Chirurgen eng zusammen und entscheiden gemeinsam, was die optimale Therapie für jeden Patienten ist.
Manfred Bodemann kann sich noch ganz genau an die Zeit vor vier Jahren erinnern: "Ich habe meinen Hausarzt aufgesucht, weil meine Augen so gelblich verfärbt waren, und zwei Tage später lag ich schon im Krankenhaus. Das ging ruckzuck." Sein Hausarzt hatte bei dem damals 76-Jährigen eine Gelbsucht diagnostiziert. "Er machte mir klar, dass es sich um eine ernsthafte Erkrankung handelte", erzählt Bodemann.
Im Gemeinschaftskrankenhaus Bonn wurde der emeritierte Professor für Physikdidaktik, der im benachbarten Königswinter zusammen mit seiner Frau wohnt, eingehend untersucht. Und zwar nicht nur von Ärzten der Inneren Medizin, wie in anderen Krankenhäusern üblich, sondern von Anfang an auch von Ärzten der Viszeralchirurgie. Im sogenannten Viszeralmedizinischen Zentrum (VMZ), das seit 2016 zertifiziert ist, kooperieren die Abteilungen für Allgemeine Innere Medizin/Gastroenterologie sowie für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Das Ziel der engen Zusammenarbeit zwischen Internisten und Chirurgen: Gemeinsam entwickeln sie die optimale Therapie für jeden Patienten mit Erkrankungen der inneren Organe.
Der Begriff Viszeral kommt vom lateinischen Wort viscera, was übersetzt Eingeweide bedeutet. Das Viszeralmedizinische Zentrum kümmert sich also um Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts einschließlich der Speiseröhre, der Leber, der Gallenblase und Gallenwege sowie der Bauchspeicheldrüse. "Bei solchen Erkrankungen ist die Zusammenarbeit zwischen Innerer Medizin und Chirurgie essenziell", sagt Privatdozent Dr. Bernd Sido, Chefarzt Allgemein- und Viszeralchirurgie, und gibt auch gleich ein Beispiel. So können Gallensteine auf verschiedene Arten therapiert werden. Es hängt unter anderem von ihrer Lage und Größe ab, ob sie beispielsweise endoskopisch oder operativ entfernt werden, also ob ein Internist oder ein Chirurg die Behandlung durchführt. Eine Diagnose - in diesem Fall Gallensteine - könne also je nach Ausprägung ganz unterschiedliche Therapien nach sich ziehen.
Daher sind schon bei der Diagnose Experten beider Fachrichtungen beteiligt. "Kommt ein Patient mit akuten Bauchschmerzen in die Notaufnahme, untersuchen wir ihn gemeinsam und stimmen uns ab", erklärt Bernd Sido. Zusammen entwickeln Internist und Chirurg einen Behandlungspfad für jeden Patienten: Wie sieht die Therapie aus? Wird er stationär behandelt? Auf welche Station wird er verlegt? "So wollen wir beispielsweise verhindern, dass eine Operation unnötigerweise hinausgezögert wird", so der Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie.
Komplikationen des Säurerückflusses (Reflux) werden endoskopisch behandelt. Ist eine Operation angezeigt, kann dies meist minimalinvasiv geschehen. Bei einem Speiseröhrenkrebs im Frühstadium kann der Tumor lokal durch endoskopische Submukosadissektion (ESD) abgetragen werden, bei fortgeschritteneren Stadien wird die komplexe Operation in Zusammenarbeit zwischen Chirurgen, Gastroenterologen, Anästhesisten und Intensivmedizinern durchgeführt.
Zur Abklärung und Therapie von Magenblutungen besteht eine 24-Stunden-Rufbereitschaft Endoskopie. Bei Magenkrebs reicht das Leistungsspektrum von Früherkennung und endoskopischer Entfernung von Krebsvorstufen und frühen Krebsstadien bis zu großen viszeralchirurgischen Operationen. Besonderheit: Mit der endoskopischen Submukosadissektion (ESD) können auch großflächige Frühkarzinome organerhaltend entfernt werden.
Die Therapie der Pankreasentzündung sowie von Tumoren sind ein Schwerpunkt des Viszeralmedizinischen Zentrums. Zur Diagnostik wird das Organ mit endoskopischem Ultraschall untersucht, dabei kann eine Gewebeprobe entnommen werden. Es kann aber auch eine endoskopisch interventionelle Therapie durch die Magenwand erfolgen (Entfernung von abgestorbenem Gewebe) oder Steine aus dem Gang entfernt und Drainagen eingelegt werden. Zur Chirurgie der extrem empfindlichen und schwer erreichbaren Bauchspeicheldrüse werden sämtliche Verfahren, insbesondere organ- und funktionserhaltende Techniken, angeboten.
Bei Leberzirrhose und Lebertumoren lassen sich mit modernen Operationstechniken bis zu 75 Prozent des Lebervolumens entfernen. Computertomografie und Kernspintomografie liefern zuverlässige Informationen über Anzahl, Lage, Größe und Verteilung der zu entfernenden Leberherde. Bei bösartigen Erkrankungen wird während der OP eine Ultraschalluntersuchung direkt auf der Leberoberfläche durchgeführt.
Gallensteine im Gallengang werden mit endoskopischen Verfahren diagnostiziert und entfernt. Bei akuter Entzündung der Gallenblase wird das Organ minimalinvasiv mit dem Laparoskop entfernt. Tumoren werden mit allen Krebsabsiedlungen viszeralchirurgisch operiert.
Besondere Expertise besteht bei der Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa). Beim Darmkrebs reicht das Leistungsspektrum von der organerhaltenden endoskopischen Entfernung von Krebsvorstufen und frühen Krebsstadien mittels endoskopischer Submukosadissektion (ESD) bis zu großen viszeralchirurgischen Operationen.
Auch Patienten wie Manfred Bodemann, die mit einer Überweisung kommen und stationär versorgt werden, werden interdisziplinär behandelt. "Bei der Aufnahme identifizieren wir Patienten mit relevanten Erkrankungen, in der elektronischen Patientenakte werden sie dann als VMZ-Patienten registriert", sagt Professor Dr. Franz Ludwig Dumoulin, Chefarzt Innere Medizin. So können die Ärzte leicht nachvollziehen, wie VMZ-Patienten behandelt werden und auf welchen Stationen sie liegen. In einer wöchentlichen Konferenz besprechen Internisten und Chirurgen die Diagnose und die weitere Therapie jedes einzelnen Patienten.
Bei Manfred Bodemann gestaltete sich die Diagnose schwierig. Ziemlich schnell war klar, dass eine hochgradige Verengung des Gallengangs die Gelbsucht verursachte. Dadurch konnte die Gallenflüssigkeit nicht abfließen, erklärt Chefarzt Dumoulin, der den damals 76-Jährigen behandelte. Mit der Folge, dass das in der Gallenflüssigkeit enthaltene Bilirubin, ein gelblich-brauner Farbstoff, der beim Abbau roter Blutkörperchen entsteht, sich im Gewebe ablagerte und die normalerweise weiße Lederhaut des Auges gelb verfärbte. Unklar war allerdings, warum der Gallengang sich so verengt hatte. "Es konnte sich um eine Entzündung, aber auch um ein Karzinom handeln", so Dumoulin.
Der Chefarzt untersuchte Manfred Bodemann, unter anderem kontrollierte er mit einem Endoskop den Gallengang. Außerdem setzte er eine Drainage, damit die Gallenflüssigkeit abfließen konnte. Bei der Diagnose zog er auch den Chefarzt Dr. Sido hinzu. "Neben der wöchentlichen Konferenz arbeiten wir auch ansonsten eng zusammen", erläutert Dumoulin. So zeigen beispielsweise Internisten in der Endoskopie den Chirurgen Befunde, umgekehrt rufen Chirurgen Internisten in den OP, wenn deren Expertise gefragt ist. Die Wege sind kurz, die Teams kennen sich sehr gut und suchen den direkten Kontakt. "Wir sehen uns nicht als Konkurrenz, sondern ergänzen uns zum Wohl der Patienten", sagt Dr. Sido. "Das bedeutet aber nicht, dass wir immer einer Meinung sind. Es kommt durchaus vor, dass wir kontrovers diskutieren, welche die beste Behandlung ist", ergänzt Dr. Dumoulin.
Auch schon vor der Einrichtung des Viszeralmedizinischen Zentrums vor rund vier Jahren arbeiteten die beiden Fachrichtungen zusammen. Der große Unterschied: Die Zusammenarbeit ist nun "standardisiert". Es gibt klare Regeln zur Identifizierung der relevanten Patienten, zu Behandlungspfaden oder zur wöchentlichen Konferenz. "Mit der Zertifizierung haben wir ein Qualitätsmanagement etabliert", erklärt Chefarzt Dumoulin.
Bei der Behandlung von Manfred Bodemann waren sich die beiden Chefärzte einig. "Nach den Untersuchungen bestand eine hochgradige Indikation, dass es sich um ein Karzinom handelt, das operativ entfernt werden muss", so Franz Ludwig Dumoulin. Bösartige Tumoren der Gallenblase und der Gallenwege, die zu den eher seltenen Krebserkrankungen gehören, haben keine gute Prognose. Weil betroffene Patienten im frühen Stadium häufig keine Symptome haben, werden Karzinome oft spät diagnostiziert, häufig zu spät. Die durchschnittliche Überlebenszeit nach Diagnosestellung beträgt nur vier bis fünf Monate, die Heilungschancen sind in der Regel gering.
Allerdings war die Diagnose nicht eindeutig, und so mussten beide Chefärzte Überzeugungsarbeit leisten. "Vor der Operation wollte ich genau wissen, was ich habe", erinnert sich Manfred Bodemann. "Ich wollte einen absoluten Beweis, dass ich Krebs habe." Zu deutlich war die Erinnerung an die großen Schmerzen seiner Frau, die aufgrund einer Brustkrebserkrankung vor zehn Jahren mehrfach operiert wurde. Chefarzt Dumoulin führte Untersuchungen erneut durch, ohne allerdings eine definitive Diagnose stellen zu können. "Gerade bei solch großen Eingriffen machen wir es uns nicht leicht", so Dumoulin.
Die beiden Chefärzte setzten sich mit dem Patienten zusammen. "Sie sind auf mich eingegangen und haben sich ernsthaft mit meinen Argumenten auseinandergesetzt. Das hat mir wirklich geholfen", erzählt Bodemann. Sachlich und gut verständlich hätten sie ihm erklärt, was eine Krebserkrankung bedeuten und wie die Operation ablaufen würde. Letztendlich entschied sich Manfred Bodemann für eine OP.
Es sollte eine sehr aufwändige und schwierige Operation werden. Denn die Vermutung der Ärzte bewahrheitete sich, ein Pathologe konnte in den anfangs bei der Operation entnommenen Zellen Krebs nachweisen. Chefarzt Bernd Sido musste, um den Tumor zu entfernen, die Gallenblase, knapp zwei Drittel der Leber sowie den gesamten Gallengang herausschneiden. Das Schwierige dabei: Der Gallengang verläuft in seinem letzten Abschnitt durch den Kopf der Bauchspeicheldrüse. Wäre diese beschädigt worden, hätte Manfred Bodemann wahrscheinlich nicht überlebt. In einer aufwändigen Prozedur schaffte es der Chefchirurg, den Gallengang in seiner ganzen Länge zu sezieren. Auch Chefarzt Dumoulin unterstützte bei der Operation.
Sechs Wochen lag Manfred Bodemann im Krankenhaus, stark geschwächt von dem großen operativen Eingriff. Doch nach einigen Monaten erholte er sich. "Mittlerweile spüre ich keinerlei Beeinträchtigungen", sagt er voller Freude. Dem mittlerweile 80-Jährigen geht es gesundheitlich wieder richtig gut. Mit seiner Frau und einer Wandergruppe geht er regelmäßig in der Eifel oder im Siebengebirge wandern. "Aber nicht unter zehn Kilometer", betont er.
"Im Nachhinein können wir sagen: Alles richtig gemacht", sagt Chefarzt Bernd Sido. "Aber ohne diese enge Zusammenarbeit hätten wir das nicht geschafft".
Text: Joris Hielscher | Fotos: André Loessel