Patienten bekommen Pathologen selten zu sehen. Deshalb ahnt kaum jemand, dass ihre Befunde fundamentaler Bestandteil zahlloser Diagnosen sind. Und immer häufiger tragen sie entscheidend zu einer personalisierten Therapie bei - vor allem bei Krebserkrankungen.
Auf den ersten Blick vermutet man nicht, dass der unscheinbare Flachbau neben dem Besucherparkplatz des Caritas-Krankenhauses in Bad Mergentheim eine zentrale medizinische Einheit im Nordosten Baden-Württembergs beherbergt: "Am Institut für Pathologie versorgen wir zahlreiche Kliniken, Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren im Main-Tauber- Kreis und in den umliegenden Landkreisen mit unserer Expertise", erklärt Chefarzt Dr. Thomas Lorey.
Er selbst und sein Kollege Chefarzt Privatdozent Dr. Matthias Woenckhaus verbringen einen Gutteil ihrer Arbeitszeit in Partnereinrichtungen wie dem Diakonie-Klinikum in Schwäbisch Hall oder dem BBT-Krankenhaus Tauberbischofsheim. Gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen untersuchen sie die unzähligen Gewebe- und Flüssigkeitsproben, die jeden Tag im Institut angeliefert werden: "Der wesentliche Teil unserer Arbeit besteht tatsächlich darin", erklärt Woenckhaus, "im Arbeitszimmer am Mikroskop zu sitzen, Biopsien zu untersuchen und die Befunde ins Diktiergerät zu sprechen."
Direkten Kontakt haben Pathologen also nur zu einem kleinen Teil ihrer Patienten - oder genauer gesagt: zu einem kleinen Teil jedes ihrer Patienten, nämlich der jeweiligen Zell- oder Gewebeproben. Verglichen mit anderen Fachärzten jedenfalls, das geben Woenckhaus und Lorey unumwunden zu, arbeiteten sie eher im Verborgenen.
Doch auch wenn der Patient sie nicht sieht - für die Diagnostik und Therapie des Patienten sind die Pathologen zentral wichtig. "Mit klinischen Untersuchungen und bildgebenden Verfahren erkennen unsere Kollegen am Krankenbett Auffälligkeiten und äußern einen Verdacht. Daraufhin können wir gezielt nach Krankheiten suchen und sie erkennen oder eben ausschließen", beschreibt Thomas Lorey das Zusammenspiel und nennt ein Beispiel: "Bei einer Magenspiegelung sieht ein bakterielles Magengeschwür genauso aus wie ein Karzinom. Erst unter dem Mikroskop sind sie eindeutig zu unterscheiden."
Wie essenziell die Pathologie an der Schnittstelle zwischen Diagnose und Therapie ist, beschreibt der Leiter des Onkologischen Zentrums am Caritas- Krankenhaus Bad Mergentheim, Oberarzt Dr. Edgar Hartung, so: "Ohne die Pathologen könnten wir Onkologen eine Krebserkrankung gar nicht erkennen." Einige dieser Diagnosen können Pathologen sogar binnen weniger Minuten abgeben: Bei der sogenannten Schnellschnittuntersuchung sendet der Operateur noch während der Operation ein frisch entnommenes Stück Gewebe in die Pathologie. Dort wird die Probe schockgefrostet und in Mikrometer dünne Scheibchen geschnitten. Dann wird es im Schnellverfahren eingefärbt, um relevante Zellstrukturen hervorzuheben.
"Im Schnellschnitt können wir dem Operateur binnen 15 Minuten sagen, ob eine Gewebsveränderung gut- oder bösartig ist und ob er noch mehr Gewebe entfernen muss oder die Operation beenden kann", erklärt Matthias Woenckhaus. "Die Schnellschnittuntersuchung ist zwar weniger präzise", erläutert Thomas Lorey, aber: "Ein Schnellschnittbefund kann dem Operateur am Operationstisch helfen, sein weiteres Vorgehen zu bestimmen. Und nur, wenn er das kann, wird der Schnellschnitt auch durchgeführt." Dann aber sei er Gold wert.
Schnellschnitte sind auch der Hauptgrund, warum Lorey sich häufig in einer Partnerklinik aufhält. Zur ausführlichen Nachbefundung bringt er die Gewebeproben mit ins Labor in Bad Mergentheim, wo - wie von allen anderen Proben auch - konservative Präparate angefertigt werden. Das nämlich ist nötig, um das volle Spektrum der Möglichkeiten zu nutzen, das die moderne Pathologie bietet.
Die immer präziseren Diagnosen eröffnen gerade in der Krebsmedizin lange ungeahnte Möglichkeiten: Liegt ein Tumor vor, kann der Pathologe anhand der Struktur und des Wachstums nicht nur gutartige, lokal wachsende Tumoren von bösartigen, aggressiv wachsenden Tumoren unterscheiden. Mit Hilfe ergänzender immunhistochemischer Färbungen und molekularmedizinischer Methoden können außerdem gewisse Eigenschaften und Strukturen in Zellen und Geweben sichtbar gemacht werden, die für bestimmte Tumorarten typisch sind. Durch die Untersuchung von Lymphknoten kann der Pathologe außerdem feststellen, ob der Tumor sich auch in andere Organe ausgebreitet und schon erste Metastasen ausgebildet hat.
Diese Untersuchungsergebnisse haben unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung des Patienten, die in der wöchentlichen Tumorkonferenz gemeinsam mit allen an der Behandlung beteiligten Ärzten besprochen wird: "Dank der umfassenden pathologischen Untersuchungsergebnisse können wir heute in vielen Fällen vorhersagen, welche Therapie bei einer bestimmten Krebserkrankung greift und welche nicht", erklärt der Onkologe Hartung. "So können wir im Rahmen der personalisierten Medizin eine individuelle Therapie festlegen und unnütze Therapien samt Nebenwirkungen vermeiden." Durch gentechnische Untersuchungen können Pathologen inzwischen sogar feststellen, ob ein Tumor vererbt werden kann, ob also Angehörige des Patienten ebenfalls gefährdet sind.
Genau das ist es, was für Matthias Woenckhaus die Faszination seines Berufes ausmacht: "Mithilfe der Pathologie legen wir die Basis, um im Ärzteteam eine ganz konkrete Diagnose zu stellen und daraus eine ganz individuelle Therapie zu entwickeln."
Eine Gewebeprobe (Biopsie) ist zunächst ein Stück Gewebe aus dem Patientenkörper. Bevor der Pathologe es untersucht, wird es im Labor aufwendig präpariert. Dies ist die verantwortungsvolle Aufgabe der medizinisch-technischen Assistentinnen: Zunächst wird die Biopsie in die Chemikalie Formalin eingelegt, damit sie ihre Struktur langfristig behält. Danach wird es in hochreines Wachs eingebettet. Der so entstehende Block ist stabil genug, um ihn in ein bis zwei Mikrometer dünne Scheibchen zu schneiden. In warmem Wasser wird das Wachs nun gelöst und die Gewebeblättchen werden auf Glasträger aufgebracht. Im letzten Schritt werden die Präparate mit unterschiedlichen Kombinationen von Chemikalien eingefärbt, etwa um bestimmte Bakterien nachzuweisen oder ausgewählte Zellstrukturen deutlicher erkennbar zu machen - je nachdem, wonach der Pathologe sucht. Kleine Proben werden von einem Tag auf den anderen bearbeitet, bei größeren Proben können im Einzelfall auch zwei bis drei Tage vergehen. Nur Schnellschnittpräparate werden in frischem Zustand zum Schneiden schockgefrostet und dann eingefärbt. Das dauert weniger als 15 Minuten.
Ja. Pathologen untersuchen auch die Körper verstorbener Menschen - vor allem, um die Todesursache genau zu bestimmen, weil sie zum Beispiel relevant für Versicherungsleistungen ist, weil Angehörige sie aus persönlichen Gründen erfahren wollen oder um Krankheiten zu erforschen.
Voraussetzung ist immer das Einverständnis des Verstorbenen per Patientenverfügung oder der Hinterbliebenen - sowie kein Zweifel an einer natürlichen Todesursache. Im Institut für Pathologie in Bad Mergentheim werden pro Jahr etwa 30 bis 40 klinische Obduktionen durchgeführt.
Nein. Der verbreitete Irrtum, Pathologen würden zur Aufklärung von Verbrechen beitragen, entspringt einem Übersetzungsfehler: Forensic Pathologist heißt im angelsächsischen Sprachraum ein Teilbereich der Rechtsmedizin. In deutschsprachigen Krimis werden Fachärzte für Rechtsmedizin daher gerne fälschlicherweise auch "Pathologen" genannt. Dabei sind die Arbeitsbereiche klar voneinander getrennt: Der Pathologe darf nur obduzieren, wenn eine Fremdeinwirkung ausgeschlossen wurde. Der Rechtsmediziner darf es nur, wenn ein Verdacht auf Fremdeinwirkung besteht, und zwar auf gerichtliche Anordnung.
Text: Jan D. Walter | Fotos & Video: André Loessel