Wer ein krankes Kind hat, bringt es selbstverständlich zum Kinderarzt, denn der Facharzt weiß, auf welche Besonderheiten beim kleinen Patienten zu achten sind. Warum es auch für den älteren Patienten wichtig sein kann, von einem speziell geschulten Facharzt behandelt zu werden, ist dagegen meist unbekannt. Mit zunehmendem Alter können sich jedoch altersbedingte Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Probleme einstellen. Daher gibt es Ärzte, die sich auf die Behandlung dieser Patienten spezialisiert haben - besonders wenn mehrere Erkrankungen gleichzeitig vorliegen. Einer dieser Spezialisten ist Frank Otten, Facharzt für Innere Medizin und Chefarzt der Geriatrie am Gemeinschaftskrankenhaus in Bonn.
Welche Patienten behandelt die Geriatrie?
Frank Otten: Wir Geriater sind Fachärzte FÜR das Alter. Wir helfen, dass der Patient gut durch eine akute Erkrankung kommt und danach sein gewohntes Leben möglichst wieder aufnehmen kann. Wenn zum Beispiel der 82-jährige Herr Müller von seinem Hausarzt wegen Verdachts auf Lungenentzündung in unser Krankenhaus eingewiesen wird, ansonsten aber fit ist und keine weiteren Erkrankungen hat, ist er ein Patient für die Abteilung Innere Medizin. Liegt aber noch eine weitere, chronische Erkrankung vor, vielleicht ein Diabetes oder Parkinson, dann sollte er in unserer Spezialabteilung behandelt werden. Wir können das Gesamtbild begutachten und schauen, ob es zwischen den einzelnen Krankheitsbildern Verbindungen gibt. Weil wir spezialisierte Fachärzte sind, können wir mit diesen Erkrankungen besonders gut umgehen.
Was bedeutet das konkret für den
Patienten?
Frank Otten: Um bei unserem Beispiel zu bleiben, eine Lungenentzündung führt dazu, dass ich mich schwach fühle und deswegen meine Mobilität deutlich eingeschränkt ist. Bei älteren Menschen kann das dann schlimmstenfalls den Verlust von Selbständigkeit bedeuten. Daher wird in der Geriatrie nicht nur die akute Erkrankung behandelt. Verschiedene Berufsgruppen helfen mit, gesundheitliche Stabilität und ein möglichst selbstbestimmtes Leben nach dem Krankenhausaufenthalt wieder zu ermöglichen. Physiotherapeuten kümmern sich um die Kraft und Mobilität des Patienten. In der Ergotherapie geht es darum, die alltäglichen Fähigkeiten, zum Beispiel sich alleine anzuziehen, zu erhalten. Auch die Beteiligung der Logopädie, also der Sprech- und Schlucktherapeuten ist oft sinnvoll. In unserem Fall kann die Lungenentzündung durch eine gestörte Schluckfähigkeit aufgrund einer anderen Erkrankung hervorgerufen worden sein. Menschen, die bisher unerkannt ein Problem mit dem Schlucken haben, verschlucken sich häufiger. Eingeatmete Essenspartikel lösen dann eine Lungenentzündung aus Durch eine spezielle Untersuchung, die sogenannte "FEES" (fiberendoskopische Schluckuntersuchung), können wir eventuelle Schluckstörungen erkennen. Das ist das Besondere in der Geriatrie: als Fachärzte behandeln wir nicht nur nach schulmedizinisch modernsten Standards, sondern fragen uns auch immer, wie wir eine erneute Erkrankung verhindern können. Gleichzeitig wird der Erkrankte zum Erhalt seiner Selbstständigkeit trainiert. Das machen nur wir.
Ihre Abteilung bietet Therapien an, die
nicht zum Standard einer akutmedizinischen Abteilung gehören. Was können tiergestützte
Therapie und Musiktherapie bewirken?
Frank
Otten: Ziel der tiergestützten Therapie ist es,
einen stimmungsaufhellenden, aktivierenden und stabilisierenden Effekt bei
kranken Menschen zu erzielen. Dies
geschieht unter anderem durch positive Emotionen, die durch den Umgang mit den speziell
ausgebildeten Hunden hervorgerufen werden. Zusätzlich werden
gezielt Beweglichkeit und Konzentration durch die Therapeuten trainiert.Der Kontakt zur Musik kann ebenfalls als "Türöffner"
dienen und helfen, die Patienten zu entspannen und zu aktivieren. Wir arbeiten
mit einer Musiktherapeutin zusammen, die spezielle Übungen nicht nur zur
Kräftigung der Stimmbänder, sondern auch gezielt zur Verbesserung der Haltung
und Atmung einsetzt. Viele Patienten haben zudem einfach Freude am Singen. Das alles tut gut!
Sie arbeiten am Gemeinschaftskrankenhaus
eng mit den anderen Fachabteilungen, zum Beispiel dem ZOUS (Zentrum für Orthopädie,
Unfallchirurgie und Sportmedizin) zusammen. Die Deutsche Gesellschaft für
Unfallchirurgie (DGU) hat sie als AltersTraumaZentrum zertifiziert. Worauf muss
bei dem älteren Patienten bei einem Unfall besonders geachtet werden?
Frank
Otten: Klares
Ziel ist, dass Patienten möglichst ohne Komplikationen gesund werden. Ältere
Menschen neigen leider aber vermehrt zu Komplikationen, weil sie oft komplex erkrankt
sind. Wenn ein Patient ab einem Alter von 75 Jahren in
die Unfallambulanz
eingeliefert wird, beginnt für ihn
unbemerkt bereits ein spezieller Prozess. Dies startet direkt bei der Aufnahme
Mit
Hilfe spezieller Fragen erhalten wir die ersten Hinweise, ob ein erhöhtes Risiko für Komplikationen, zum Beispiel
Infektionen oder Verwirrtheit, vorliegt. Zusätzlich zum Orthopäden betrachtet der
Geriater dann umfassend den medizinischen
Status des gesamten Menschen. Liegen Erkrankungen vor, welche Medikamente werden
eingenommen. Dies stimmen wir gemeinsam ab damit die Genesung
möglichst ohne Komplikationen verläuft. Durch die elektronische Krankenakte
können sich die behandelnden Ärzte, Pflegepersonal und Therapeuten, jederzeit
per Tablet-PC über den aktuellen Stand informieren und die Behandlung steuern.
Alterstraumatologie
bedeutet, dass die Fachdisziplinen Orthopädie und Geriatrie sehr eng am
Patienten zusammenarbeiten. Die Zertifikation ist aber
auch mit Pflichten verbunden. Alle Behandlungsdaten werden anonym an ein
zentrales Alterstraumaregister übermittelt. Die ausgewerteten Daten und eine
regelmäßige, unabhängige Kontrolle unserer Abteilung führen zu neuen
Erkenntnissen und zur stetigen Verbesserung der Behandlung. Internationale
Studien haben bereits gezeigt, dass das Risiko Komplikationen während des
Krankenhausaufenthaltes zu erleiden, in AltersTraumaZentren deutlich geringer ist.