Die Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Brüderkrankenhaus St. Josef betreut Patienten und deren Angehörige bei Krebserkrankungen, chronischen Schmerzzuständen, akuter Traumatisierung und anderen psychischen Erkrankungen.
Das Team arbeitet eng mit den medizinischen Fachkliniken und -zentren, den Physiotherapeuten, dem Sozialdienst und der Seelsorge sowie dem Psychiatrischen Konsildienst der LWL-Klinik Paderborn zusammen, um eine optimale Behandlung und Betreuung der Erkrankten zu gewährleisten.
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Unsere Psychologen stehen allen Patienten mit akuten Belastungsstörungen, zum Beispiel nach Unfällen oder Gewalterfahrungen zur Seite. Über das Konsilsystem können Ärzte der einzelnen Kliniken Psychologen anfordern. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die psychologische Betreuung von Krebskranken und deren Angehörigen. Auch in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen unterstützen speziell ausgebildete Psychologen im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie.
Krebserkrankungen sind für die Kranken und ihre Angehörigen meist mit Sorgen, Ängsten und Ungewissheit verbunden. Deshalb bieten wir ihnen während des stationären Aufenthaltes und auch ambulant kompetente psychoonkologische Unterstützung an.
Stationäre Leistungen
Um Menschen mit Krebserkrankungen und deren Angehörige optimal begleiten und unterstützen zu können, haben sich die Fachleute aus Praxen, Krankenhäusern und Beratungsstellen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen.
Nach schweren Unfällen sowie Gewalterfahrungen im privaten oder dienstlichen Bereich tritt oft ein Zustand auf, der "Akute Belastungsreaktion" genannt wird. Er resultiert aus einer akuten Überforderung des Menschen in Extremsituationen und ist meist mit dem Erleben von völliger Überwältigung und Hilflosigkeit verbunden.
Folgende Reaktionen und Befindensbeeinträchtigungen sind möglich:
Durch frühzeitige psychologische Unterstützung fördern wir die seelische Stabilisierung und den Rückgewinn von Kontrolle, Sicherheit und Autonomie. Wir aktivieren gezielt die Selbsthilfepotentiale. Damit steigt die Chance, dass die bedrückenden Symptome innerhalb der nächsten Zeit nachlassen und wieder ganz verschwinden (in 6-12 Monaten).
Auf Wunsch und bei Notwendigkeit bieten wir nach dem stationären Aufenthalt weitere traumatherapeutische Unterstützung in unserem Hause oder in der Traumaambulanz der LWL-Klinik Paderborn.
Chronischer
Schmerz ist ein komplexes Phänomen, welches den Menschen in seiner Gesamtheit
erfasst. Er beinhaltet neben dem körperlichen Leiden auch seelische
Beeinträchtigungen und soziale Veränderungen und sollte daher nach einem
umfassenden bio-psycho-sozialen Schmerzmodell behandelt werden. Der chronische
Schmerz warnt nicht vor einer akuten Gefahr, sondern vor einer länger dauernden
oder wiederkehrenden Überlastung und entwickelt sich zur eigenständigen Krankheit.
Es kommt zu Veränderungen in den schmerzverarbeitenden Nerven und Gehirnarealen
(Schmerzgedächtnis).Längere Phasen zurückgehaltener Gefühle, Konflikte in Ehe,
Familie und Beruf, ständige Über- oder Unterforderung oder Mehrfachbelastungen
können zu anhaltendem Stress führen und den Menschen auf Dauer überfordern.
Damit einher geht eine erhöhte muskuläre Anspannung, welche die
Nervensensibilität verändert. Nachfolgend kann es zu Schmerzen in Muskeln,
Sehnenansätzen, Knochenhaut oder im Bindegewebe kommen. So entsteht ein
Teufelskreis aus Anspannung, Schmerz, Bewegungseinschränkung und schneller
Erschöpfung. Und nicht zuletzt ist auch ein anhaltender Schmerz ein großer
Stressor für den Organismus, bringt Unruhe und Sorgen mit sich. Psychisch
besonders beeinträchtigend wirken Rückzugsverhalten, Krankheitsängste sowie
eine depressive Verarbeitung.
Wir bieten psychologische Begleitung im Rahmen eines multimodalen Therapiesettings oder
konsiliarisch während Ihres Krankenhausaufenthaltes. Dabei unterstützen wir die Patienten
darin, aus angstvollem
Schonen oder krampfhaftem
Durchhalten herauszufinden zu einer Balance
zwischen Aktivität und Passivität, Anspannung- und Entspannung. Wir ermuntern zu einem selbstfürsorglichen Umgang mit den persönlichen Grenzen der
Belastbarkeit und bieten das Erlernen eines Entspannungstrainings an.
Weitere Ansatzpunkte unserer Therapie sind die Verbesserung der Krankheitsakzeptanz,
Stressbewältigung, Erkennen und Verändern hinderlicher Einstellungen und
Gedanken sowie die Behandlung begleitender psychischer Störungen. Wir helfen den Betroffenen Kraftquellen zu finden und zu nutzen
und Möglichkeiten des Lebensgenusses zu entdecken.
Montag - Freitag: 08:30 - 11:30 Uhr
Das Sekretariat befindet sich im paderlog Gebäude, 3. Stock.
Sichere
Erreichbarkeit der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie:
Montag bis Donnerstag 08:30 - 15:00 Uhr,
Freitag: 08:30 - 13:30 Uhr
Privat- und
BG Ambulanz:
Mittwoch ab 14:00 Uhr und Donnerstag ab 14:30 Uhr
Der Therapieraum befindet sich im Hauptgebäude des Krankenhauses, im Bereich der Chirurgischen Ambulanz, Raum E33
Psychosoziale Krebsberatungsstelle der Diakonie Paderborn-Höxter
Tel: 05251/54018-40
mobil: 01715365431
krbsbrtngdkn-pbhxd
Sozialpsychiatrischer Dienst des Kreises Paderborn
Beratungsangebot
für Menschen mit u.a. mit psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen, in psychosozialen
Krisensituationen
Tel.: 05251/308-0
LWL Klinik Paderborn
Tel: 05251/295-5414
Tobit (ehrenamtlichen Hospizdienst)
Paderborn
Tel: 05251/161957370
Hospizdienst Büren
Tel: 02951/9726929
Ambulanter Hospizdienst St. Johannisstift e.V.
Tel.: 05251/291909
Paderborner Palliativnetz
Die
Fachberatung informiert, berät und unterstützt Patienten und ihre Begleiter und
koordiniert auf die Lebenssituation abgestimmt weitere Helfende (z.B. ambulante
Hospizdienste, Pflegedienste, psychologische Unterstützung, Palliativärzte,
usw.)
Tel: 05251/8720301
Palliativ Care Netz im Kreis Höxter e.V.
Tel: 0800-6646840
Hirntumorinformationsdienst
Tel: 03437-702702 (wochentags 10:00 – 16:00 Uhr)
Sorgentelefon Hirntumor
Tel: 03437-9996867 (dienstags 10:00 – 15:00 Uhr)
Praxisnetz Paderborn
Tel: 05251 6989790
Psychotherapeutensuche:
Psychotherapeutenverein
Paderborn/Höxter
www.psychotherapeutenverein.de
Suche nach Psychoonkologie-Praxis:
Krebsinformationsdienst
Caritasverband Paderborn.e.v. Beratungsstelle
für Eltern, Kinder und Jugendliche
Tel: 05251/8991020
Beratungsstelle für Ehe- Familien und
Lebensfragen
Tel: 05251/26071
Freies Beratungszentrum Paderborn (FBZ)
Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche, Kinder und Erwachsene
Tel: 05251/150950
nffbz-pbd
Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle der AWO Paderborn
Beratungsangebot
für Menschen mit seelischen Problemen und Behinderungen, Hilfestellungen bei
Problemen in der Familie, mit sich selbst oder dem sozialen Umfeld
Tel.: 05251/2906622
Pro Familia
Tel: 05251/8790970
Familienpflege - Caritasverband Paderborn e.V.
Hilfen für Familien und Lebensgemeinschaften mit Kindern - z.B. bei lebensbedrohlichen Erkrankungen / während eines Krankenhaus- oder Kuraufenthaltes eines Elternteils
Tel: 05251 16195-7355
Lilith Beratungsstelle für Frauen und
Mädchen
Tel: 05251/21311
Jugendberatungsstelle MUT.ich
Tel: 05251/8891405
Bundesverband Frauenberatungsstelle und
Frauennotruf
Tel: 0800116016
Lebens-und Trauerbegleitung im Caritasverband
Tel: 05251/889-2133
Trauerarbeit Paderborn e.V.
02951/9824-0
Trauernetz.de
Online-Beratungsangebot der evangelischen Kirche
Selbsthilfekontaktstelle Kreis Paderborn
Tel: 05251/8782960
Krisenhotline / Krisenberatung
Videos
Kindern Krebs erklären: Buchtipp und Erklärvideos | Deutsche Krebshilfe
App
Kindern Krebs erklären
App für
Kinder krebskranker Eltern: „Der Zauberbaum“ (3.-10. Lebensjahr)
Buchtipps:
Bilderbücher
für kleine Kinder über Krebs und Chemotherapie:
·
„Der
Chemo Kasper“ (3.-7. Lebensjahr)
·
„Radio Robby“
· Anke Keil (2019). "Als Frau Trauer bei uns einzog", Vier-Türme-Verlag
· Ayse Bosse & Andreas Klammt (2016). "Weil Du mir so fehlst", Carlsen Verlag GmbH
· Mechthild Schroeter-Rupieper & Imke Sönnichsen (2020). "Geht Sterben wieder vorbei?", Gabriel-Verlag
· Heike Eva Schmidt (2019). "Mein Weg ist mein Weg - Ein Trauerbuch von Jugendlichen für Jugendliche", Hospizverein Bamberg e.V.
· Sabine Rachl (2017). "Ich wohne bald im Zeitlosraum: Mutgeschichten vom Sterben und Leben", Patmos Verlag
· Dr. Natalie Hellermann (2018). "Der Apfelbaum - Trostgeschichten für die ganze Familie", independently published
Kindersachbücher:
·
„Wie
ist das mit dem Krebs?“ von Dr. Sarah Herlofsen
·
„Und
was kommt dann? Das Kinderbuch vom Tod" von Pernilla Stalfelt (ab dem 4.
Lebensjahr)
Hintergrundwissen imPodcast der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung DPtV
In der Veranstaltung "Angestellte im Fokus" der Psychotherapeutenkammer NRW gab Sandra Schnülle, leitende Psychotherapeutin im Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn einen Einblick in die Arbeit ihres Teams in der Palliativversorgung. Es gelte nicht das Sterben, sondern die verbleibende Lebensqualität in den Mittelpunkt zu stellen. Mehr zur Psychotherapie in Grenzsituationen
Die Diagnose „Krebs“ klingt immer noch wie ein Todesurteil, auch wenn die meisten Krebserkrankungen heilbar sind. Die psychologische Psychotherapeutin Sandra Schnülle leitet die klinische Psychologie und Psychotherapie im Brüderkrankenhaus St. Josef in Paderborn. Schwerpunkt der Arbeit ist die psychoonkologische Unterstützung von Krebskranken und ihren Angehörigen. Im Gespräch schildert sie die existentielle Erschütterung, die Menschen mit einer Krebserkrankung erleben, und beschreibt, wie sie Menschen hilft, die den Boden unter den Füßen verloren haben.
Zu uns kommen Menschen, die im Brüderkrankenhaus St. Josef in onkologischer Behandlung sind, also eine Krebserkrankung haben. Häufig sind sie im Krankenhaus aufgenommen worden, ohne dass sie von ihrer Erkrankung wussten. Wenn eine Krebserkrankung diagnostiziert wird, werden wir, wenn es gut läuft, direkt einbezogen. Jeder von uns wäre erstmal aus der Bahn geworfen, wenn er eine solche Diagnose erhalten hätte. Deshalb sind wir von Beginn an als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner wichtig. Eine solche Krankheit kann jeden von uns aus der Bahn werfen. In solchen Fällen werden wir hinzugezogen. Wir bieten Beratungsgespräche an. Das hat nichts mit einer psychischen Erkrankung zu tun, sondern es geht um Beratung, Unterstützung und Begleitung.
Das ist unterschiedlich. Es gibt Menschen, die sich sagen, da muss ich durch. Es gibt aber auch die, die in Tränen ausbrechen, verzweifelt sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Leider verbinden immer noch die meisten Menschen die Erkrankung Krebs mit Tod und Sterben. Dabei sind die meisten Krebserkrankungen heute heilbar. Die Medizin ist weit vorangeschritten. Das ist vielen Menschen nicht bewusst, die alten Vorstellungen sind oft noch vorherrschend. Entsprechend groß sind die Ängste und Befürchtungen. Die Patienten sind verzweifelt, ziehen sich zurück, werden stiller, wiederholen bestimmte Sätze ständig, drehen sich im Kreis.
Es gibt auch die anderen, die sagen, ich muss alles wissen, was es an Informationen gibt. In diesen Fällen empfehlen wir, nicht über das Internet zu suchen, weil dort viele Falschinformationen verbreitet werden – und wenn doch, dann auf wissenschaftlich abgesicherte Seiten wie die der Deutschen Krebsgesellschaft zu gehen.
Es gibt kein Patentrezept. Es ist wichtig, dass wir da sind. Wir begleiten die Patienten durch die gesamte Behandlungszeit. Das kann manchmal Jahre dauern. Mit der Zeit lernen wir die Umgebung des Patienten kennen. Jeder Mensch lebt in einem System von Familie und Freunden. Es ist wichtig zu wissen, in welches Umfeld die Patienten eingebettet sind, welche Unterstützungsmöglichkeiten dort bestehen. Ein guter Rückhalt in der Familie macht vieles leichter.
Im Grunde geht es bei unserer Arbeit darum, zuzuhören, auf die Menschen einzugehen, für sie da zu sein, Fragen zu beantworten. Die Patienten sind in diese Situation hineingeworfen worden. Sie müssen sich jetzt in einer fremden Welt zurechtfinden. In dieser Lage sind sie dem Gesundheitssystem mit all seinen Vor- und Nachteilen ausgeliefert. Wir Therapeuten bauen ein Geländer, an dem sich die Patienten festhalten können. Manchmal werden wir zu Patientenvertretern, die einen besseren Umgang mit unseren Klienten anmahnen.
Auf die Frage: „Warum ich?“ würde ich mit Sachargumenten antworten, darauf hinweisen, dass es sich bei der Krankheit Krebs um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Darauf gibt es keine einfache Antwort. Es kommen viele Faktoren zusammen, die die Ursache für eine Krebserkrankung sind. Das können genetische Faktoren sein, umweltbedingte Gründe oder stressbedingte Ursachen. Es kann auch ganz einfach Schicksal sein.
Jeder findet seine individuelle Erklärung. Es gibt Menschen, die die Krankheit für so etwas wie ein „Gottesurteil“ halten. Ich habe dazu eine persönliche Meinung. Ich glaube nicht an einen strafenden Gott. Ich glaube an einen gütigen, liebevollen Gott, der uns in dieser Phase hält und begleitet.
Jeder Mensch ist anders, also muss ich immer wieder neu reagieren. Das ist ja das Besondere an meinem Beruf. Es gibt Situationen, da halte ich einfach nur die Hand, aber es gibt auch die Fälle, in denen vor allem Sachinformationen gefragt sind. Andere brauchen einen Gesprächspartner, um erzählen zu können. Es gibt kein Patentrezept.
Wenn es um schwierige Glaubensfragen geht, dann sind die Seelsorger gefragt. Im Brüderkrankenhaus finden wöchentliche Seelsorgegespräche statt, an den Seelsorgerinnen und Seelsorger und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten teilnehmen. Dort reden wir darüber, welche Unterstützung für welche Patienten am besten ist. Meine Erfahrung ist, dass, je länger die Patienten bei uns sind, Sinn- und Glaubensfragen an Bedeutung gewinnen.
Ja, häufig sogar früher als die Betroffenen selbst. Wir bieten Angehörigen recht früh Beratungstermine an. Wichtig wird die Unterstützung der Angehörigen vor allem in Krisen. Das ist besonders im Arztgespräch wichtig. Die Patienten sind gestresst, können sich oft schwer konzentrieren. Oft wissen sie nach dem Gespräch nicht mehr, worum es im Detail ging. Deshalb empfehlen wir, einen zweiten, vertrauten Menschen zum Arztgespräch mitzunehmen, auch wenn das in Corona-Zeiten schwer war. Vier Ohren hören mehr als zwei.
Der oder die Erkrankte sorgt sich in vielen Fällen um die Angehörigen, will sie nicht belasten oder ihnen zu viel zumuten. Sätze wie „Wir müssen vorsichtig sein, meine Frau verkraftet das nicht“ oder „Ich muss auf meine Kinder achten“ höre ich oft. Auch die Angehörigen wollen den Erkrankten nicht belasten. Das ist ein wechselseitiges Spiel. Auch Angehörige brauchen Informationen über die Krankheiten, und über Netzwerke, die Unterstützung anbieten, etwa in Selbsthilfegruppen. Die Belastung ist groß, die Angehörigen haben ja noch ihr eigenes Leben, das ja auch schwierig sein kann.
Manchmal kommen Angehörige zu uns und erzählen, dass sie seit Jahren eine schwere Depression haben oder unter einer anderen schweren Krankheit leiden. Die neue Sorge um den erkrankten Angehörigen macht alles noch viel schwieriger. Dann muss unter Umständen sofort interveniert werden. Wir vermitteln in diesen Fällen Kontakte zu Psychotherapeuten oder Kliniken.
Wir vermitteln wichtige Informationen. Wenn sich der oder die Erkrankte zurückzieht, sollte man das akzeptieren. Viele Angehörige meinen, sie müssten rund um die Uhr für die Betroffenen da sein. Das empfinden viele Erkrankte als sehr belastend. Auch sie brauchen Zeit für sich, so wie das in jeder Partnerschaft ist. Diese Freiräume sollte man einander auch in dieser Situation einräumen. Die Angehörigen sollten sich Zeit für sich selbst nehmen. Sie brauchen ein soziales Netzwerk, Hobbys, liebende Angehörige oder Freunde. Wir empfehlen Selbsthilfegruppen für Zugehörige, in denen sich Menschen treffen, die eine ähnliche Situation erleben und deshalb füreinander Verständnis aufbringen, und wir bieten autogenes Training und progressive Muskelentspannung an. In der Psychoonkologie arbeiten wir viel mit imaginativen Techniken.
In unserer Vorstellung – Imagination – sind wir frei. Wir können positive Gedanken und Gefühle erzeugen, beispielsweise einen guten und sicheren Ort imaginieren, an dem wir uns befinden. Wir alle haben ein grundlegendes Sicherheitsgefühl. Wir fahren Auto, obwohl wir verunglücken können. Mit der Diagnose Krebs ist dieses Sicherheitsgefühl weg. Das Schlimme, von dem wir immer wussten, es aber erfolgreich verdrängt haben, hat uns eingeholt. Das ist eine existentielle Verunsicherung.
Es ist wichtig, dass wir in der Imagination sichere Räume und Orte finden, um das alte, verschwundene Gefühl der Sicherheit wiederzuerlangen. Man kann die Wirkung der Imagination, auch von Autogenem Training und anderen Entspannungstechniken, physiologisch nachweisen, etwa durch Prozesse im Gehirn. Auch das Immunsystem wird gestärkt. Der Stresspegel wird reduziert, die psychische Selbstregulation gestärkt.
Grundsätzlich ist das richtig, aber es gibt ein großes Aber. Das Leben hat positive und negative Seiten. Auch die negativen Dinge gehören dazu. Man muss sich die negativen Gedanken und Gefühle bewusst machen, man darf Trauer oder Belastungen zulassen– und dann vielleicht schauen, was man dem gegenüberstellen kann. Es muss beides da sein, damit die beiden Gehirnhälften miteinander in Schwingung kommen. Es ist gut, positive Gedanken zu haben und positive Gedanken zu fördern, aber es ist nicht gut, ausschließlich positiv zu denken und das Negative zu verdrängen.
Ich erlebe die Betroffenen als sehr authentisch, auch in der Gruppe, die ich leite. Sie sind sehr klar in dem, was sie möchten, und sehr klar in dem, was sie nicht möchten. Im Gesundheitssystem, dem die Patienten ausgeliefert sind, läuft nicht immer alles gut. Auch das äußern die Patienten sehr klar. Gott sei Dank sind viele Betroffene so kompetent, dass sie immer wieder nachfragen.
2012 wurde die deutschlandweite Krebspräventionsinitiative „du bist kostbar“ gestartet. Es ist wichtig, sich der eigenen Kostbarkeit bewusst zu sein. Deshalb ist es wichtig, zu fragen und sich für sich selbst einzusetzen. Viele trauen sich nicht zu fragen, weil sie nicht wissen, wie das System Krankenhaus reagiert. Deshalb ist es wichtig, die Menschen zu ermutigen. Nur wer fragt, dem kann auch geholfen werden.
Wir begleiten die Menschen bis zum Tod. Die meisten Krebserkrankungen sind heilbar. In den Fällen, in denen das nicht so ist, beraten wir schon früh, wie die Begleitung am Lebensende aussehen kann, wenn der Patient das wünscht. Viele Dinge müssen geklärt werden: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Testament. Wie können wir die Angehörigen auffangen? Bei jungen Patienten stellt sich oft die Frage, wie die Kinder versorgt werden sollen.
Es geht aber auch um Fragen wie: Wie stelle ich mir das Sterben vor? Die meisten Menschen wissen nichts über den Sterbeprozess. Viele haben Angst vor dem Ersticken und sind beruhigt, wenn sie erfahren, dass es heute Medikamente gibt, die einem diese Angst nehmen. Niemand verhungert mehr am Ende des Lebens, weil die Nahrungsaufnahme durch Flüssignahrung ersetzt werden kann. Auch die Schmerzen sind medizinisch einstellbar.
Ja. Das macht eine Menge mit mir. Es führt dazu, dass ich anders aufs Leben schaue. Ich erlebe viele Dinge bewusster. Es verursacht auch Ängste, weil man darüber nachdenke, wie es bei einem selbst sein wird. Wie stellst du dir dein eigenes Sterben vor? Das hat dazu geführt, dass ich viele Dinge wie eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht geregelt habe. Ich habe mit meiner Familie besprochen, wie ich mir das vorstelle, sollte ich sterben. Dass darüber offen kommuniziert wird, wie ich mir mein Begräbnis vorstelle, finde ich wichtig.
Ich genieße anders als früher. Ich kann mich heute über einen schönen Sonnenaufgang mehr freuen. Ich lege Wert auf echte Beziehungen. Ich habe das Glück mit Menschen befreundet zu sein, die nicht oberflächlich sind.
In unserem Team findet regelmäßig eine Supervision statt. Wir haben ein gutes Team und entsprechend auch einen guten internen Austausch. Das ist wichtig, vor allem wenn es um schwierige Fälle geht. Es gibt auch die Seelsorgebesprechung, in der wir uns austauschen. Wir haben hier im Haus eine gute Dienstgemeinschaft, die auch gelebt wird. Es kommt vor, dass Pflegekräfte und Ärzte zu uns kommen, weil sie Gesprächsbedarf haben.
Das ist eine schwierige Frage. Es wirft uns auf uns selbst zurück. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es um höher, schneller, weiter geht, nicht um die Gemeinschaft. Es sind aber Beziehungen zu anderen Menschen, die uns formen und Sicherheit geben. Das geht häufig verloren. Kranke Menschen kommen auf das Wesentliche zurück: Familie, Freunde, gute Momente, eine feste Beziehung zu Gott oder der Glaube an das Universum oder an alles andere, woran man glaubt. Es ist wichtig, etwas langsamer zu werden und hin und wieder innezuhalten.
Bei uns ist es so, dass wir die Patientinnen und Patienten schwerpunktmäßig sehen, wenn sie hier im Haus sind. Wir bieten einzelne Gespräch nach der Entlassung an, aber unser Angebot beschränkt sich eigentlich aufs Krankenhaus. Es gibt aber eine Ambulanz und noch bis Ende Juni eine Gruppe, in der sich Menschen treffen, die die Behandlung hinter sich haben.
In dieser Gruppe treten bestimmte Themen immer wieder auf. Dort geht es oft um das Thema, wie man in den Praxen und im Krankenhaus mit ihnen umgegangen ist. Das belastet viele. Teilweise haben sie das Gefühl, entmündigt worden zu sein – dass man sie nicht ernstgenommen hat. W ir leben in einer hochtechnologischen Welt, in der subjektive Wahrnehmungen manchmal zu schnell abgetan werden. Viele Patienten würden sich wünschen, dass in ihrem Fall genauer nachgefragt worden wäre. Wären die Metastasen nicht aufgetreten, wenn man meine Rückenschmerzen früh genug ernst genommen hätte? Ich bin doch immer zum Arzt gegangen, wie konnte es trotzdem dazu kommen?
Es ist wichtig, dass die Bedürfnisse des Menschen berücksichtigt werden. Die Patienten möchten, dass ihnen der Arzt zuhört. Das ist aufgrund der Strukturen, die im Gesundheitssystem herrschen, nicht immer in Gänze möglich. Das Zwischenmenschliche geht häufig verloren, damit werden auch viele diagnostische Kriterien nicht mehr berücksichtigt.
Die Praxen sind aufgrund des Ärztemangels für zu viele Patientinnen und Patienten zuständig. Die Ärztinnen und Ärzte geben ihr Bestes und arbeiten über ihre Belastungsgrenzen hinaus. Das spüren auch die Patienten. Das ist ein politisches Problem – Stichwort Bedarfsplanung. Wie kann man neue Ärzte gewinnen? Die Politik muss hier handeln.
Frau Schnülle, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Interview: Karl-Martin Flüter | Foto: Maira Stork
Das Interview erschien zunächst in der Ausgabe 01/2022 des Magazins „Paderborn Jetzt“.